Schreiben-Reisen-Leben
„Schon komisch, oder warum laden die uns zu sich nach Hause ein, um gemeinsam mit ihren Familien Weihnachten zu feiern, die kennen uns doch kaum.“ „Vielleicht, weil WIR gerade KEINE Familie haben?“, lautete die trockene Antwort des mir angetrauten Pragmatikers.
Richtig. Wir waren auf Weltreise und gerade in einer Kleinstadt an Australiens Westküste gelandet. Unsere Familien waren über 14.000 KM weit weg. Freunde und Schnee vermissten wir sehr, obwohl es für weiße Weihnachten auch zu Hause längst keine Garantie mehr gab. Aber damals, in Down Under, ließ uns die Vorstellung an eine herrlich verschneite Winterlandschaft wehmütig werden.
An diesem 24. Dezember 1996 gab es weder rote Wangen noch kalte Nasen. Stattdessen jede Menge Schweiß unter Australiens sengender Sonne. Zudem überlegten wir fieberhaft, wie wir all den Einladungen zu den Weihnachtsparties bei ‚wildfremden‘ Einheimischen nachkommen sollten. Es fiel uns nicht leicht, zu entscheiden, bei welchen Menschen wir das Fest verbringen sollten, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen. Weltumsegler genossen in den Küstenstädtchen hohes Ansehen und so waren wir begehrte Gäste. In der Marina gab es einen richtigen Kult um die segelnden Exoten. Jeder riss sich um uns, wir wurden ständig angesprochen und bewundert und fühlten uns fast wie kleine Stars. Völlig ungewohnt für uns eigenbrötlerische Mitteleuropäer. So viel Gastfreundschaft waren wir nicht gewohnt und es war uns fast schon ein wenig peinlich.
Jedes Schiff hatte seinen ‚Mentor‘ und bald saßen wir gemeinsam mit der Familie und allen Verwandten im Garten vor dessen Haus und erzählten einander Geschichten. Besonders interessant wurden spannende Erzählungen vom Segeln und Schilderungen aus unserer Heimat empfunden. Die Mentoren wiederum gaben mystische Aborigines-Geschichten von der ‚Traumzeit‘ zum Besten. Diese handelten von Legenden, die besagen, dass die Welt ein unablässiger Schöpfungsprozess ist und die ‚Traumzeit‘ immerwährend mit neuen geschichtlichen Ereignissen ‚gefüllt‘ wird.
Einzig die ‚Cockroaches‘ störten den Zauber, wenn sie über die reich gedeckte Tafel huschten. Auch daran hatten wir uns längst gewöhnt. Ich fühlte mich auf angenehme Art und Weise zwischen entspannten Menschen und klirrenden Weingläsern und dem dumpfen Klang aneinanderschlagender Bierflaschen angekommen. Inmitten dieser keineswegs mehr fremden Aussies auf diesem urtümlichen Kontinent, dessen Ränder nur spärlich besiedelt waren. Ein Nachmittag voller Gelassenheit, Fröhlichkeit und leicht süßlichen Duftnoten in der schwülen Dezemberluft. Wir fühlten uns wie Weltreisende und Entdecker, die von ihren Abenteuern berichten durften. Wir waren alle erfüllt von aufrichtiger Neugier und schenkten einander Wertschätzung.
Ein Heiligabend, den wir erst weit nach Mitternacht unter den weichen Südseeklängen der Ukulelen im Kreis von Seglern aus aller Welt beseelt ausklingen ließen.
© LoPadi 2020-12-03
Eine schöne Geschichte, die mich schmerzlich daran erinnert hat, wie schön es war ferne Länder zu bereisen und Menschen zu treffen. Allerdings war ich an Weihnachten noch nie in der Ferne. Immer in Bayern, und noch nicht mal das gelingt dieses Jahr. Seltsame Zeiten. Frohe Weihnachten euch
,Cornelia
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Danke, liebe Cornelia. Ja, wir leben gerade in einem seltsamen Krieg ohne spürbare Not. Die Seele ausgenommen … Liebe Grüße Lore
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Ich fürchte, die Not kommt dann 2021. Liebe Grüße Cornelia
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Das fürchte ich auch. Und es geht weiter … Die stagnierende Wirtschaft braucht einen Neuanfang. Es ist einfach eine andere Art der Kriegsführung. Traurig. Wir lernen nichts dazu. SARS COV 2 ist willkommenes Mittel zum Zweck. Liebe Grüße Lore
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Oh, da packt mich jetzt aber wieder ein heftiges Fernweh! Das war bestimmt – bei allem „Überangebot“- eine unvergessliche Erfahrung.
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Elke, Auf jeden Fall😄
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Die Geschichte hat mir sehr gefallen. Ich war zwar noch nicht in Australien aber schon viel darüber gelesen.
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