Schreiben-Reisen-Lebensbilder
Alles begann mit dem Satz: „Schatz, hast Du irgendwo mein Hörgerät gesehen, ich glaube, ich habe es verlegt.“ Ich verdrehte die Augen. Verlegt war gleichbedeutend mit verloren und hieß: ‚Hilf mir suchen. ‘Es war bereits das zweite ‚verlegte‘ Hörgerät innerhalb eines Jahres. Ich hätte jetzt natürlich sagen können; ‚schau doch genauer‘, aber mein Mann schaffte es wieder einmal, die detektivische Ader in mir zu wecken.
Die Synapsen meines Technikers sind äußerst aktiv. Ständig beschäftigt mit der Optimierung oder Reparatur sämtlichen Hab und Gutes. Und weil er sich dabei so konzentrieren muss, neigt er zu einer gewissen Zerstreutheit oder wie er es ausdrückt; „über Unwichtiges zerbreche ich mir nicht den Kopf.“ Das kann die Intensität einer Diskussion über den Verlust ‚unwichtiger‘, aber wertvoller Gegenstände in unglaubliche Höhen treiben. Vor allem dann, wenn der Verlust finanziell schmerzhaft ist. Handys und Hörgeräte gehören in unserem Haushalt zu den am meisten ‚verlegten‘ Gegenständen, aber meistens tauchten sie wieder auf.
Nach der Antwort auf meine Frage „Wo hast du das Ding zum letzten Mal gesehen?“, legte ich los. Da sich mein Mann auch diesmal nur sehr vage daran erinnern konnte, wo das war, begann ich mit logistischer Akribie alle Wege nachzuvollziehen, die er eventuell gegangen sein könnte. Er war sich fast sicher, dass er es im Wäldchen hinter dem Haus verloren hatte. Irgendwo im Umfeld eines alten Gartenstuhls inmitten eines Berges von Laub. Eine echte Herausforderung also. Mit einem Metalldetektor, – mein Techniker besitzt sowas tatsächlich, begann ich das infrage kommende Gebiet zu durchforsten. ER beschäftigte sich währenddessen mit weitaus wichtigeren Dingen. Mann halt. Aber wie gesagt, mein Ehrgeiz war geweckt und ich wollte das teure Teil unbedingt finden. Mehrmals durchsuchte ich das Laub, drehte jeden Stein um und erweiterte meinen Radius Meter für Meter. Alles umsonst. Ich fand NICHTS.
Aber ich gab nicht auf. Und tatsächlich; plötzlich schlug der Detektor an. Erwartungsvoll begann ich zu graben. Es war Sommer, es war heiß. Als ich schließlich eine alte verrostete Schraube fand, rann mir der Schweiß bereits in die Augen. Man sollte wissen, wann man aufhören muss. Jetzt. Dabei war ich mir so sicher gewesen, fündig zu werden. Ich hätte meinem Techniker wirklich gerne eine Freude gemacht. Eine Elster schrie. Ich mag Elstern. Sie sind schön anzusehen, aber ihr Geschrei mochte ich noch nie.
Die Monate vergingen. Längst befand sich ein neues Gerät im Ohr meines Mannes. Eines schönen Frühlingstages öffnete ich die Tür des Wintergartens. Auf der Wiese lag noch etwas Schnee, aber die Terrasse war schon geräumt. Plötzlich sah ich etwas in der Sonne glänzen. Ich bückte mich, um den Gegenstand näher zu betrachten. Da lag es, das Hörgerät, als hätte es schon immer dort gelegen.
Eine Elster huschte über mir in das Wäldchen. Ich bekam eine Gänsehaut und war mir sicher, dass mir das niemand glauben würde …
© LoPadi 2020-05-09
Auszug aus meinem demnächst erscheinenden vierten story.one Band: „Ich habe einen Bock geschossen“